Australischer Kaffee – eine „Cuppa“ voller Lob
In der Nähe des State Theatre von Melbourne, in dem wir auftreten, gehe ich ein paar Blocks die Straße runter, weg vom Fluss. Ich gehe rechts um die Vertretung von Aston Martin herum zu einem kleinen Coffee Shop. Er heißt „Bond“. Ich gehe rein.
„Black. Long Black.“, sage ich zu dem Barista. „Und einen Eiskaffee. Geschüttelt, nicht gerührt.“
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Wir haben gerade sechs Wochen Aufführungen in Down Under hinter uns. Begonnen haben wir mit neun Aufführungen in Perth und geendet mit Shows in Sydney in einem vollgepackten Saal, dazwischen Shows in fünf anderen australischen Städten und in zwei neuseeländischen.
Was Australien betrifft, werde ich manches vermissen. Die Strände. Die Parks. Die Abkürzungen: Barbie, breakie, Brissie. Den Sommer im Februar. Am meisten werde ich aber seine Kaffee-Kultur vermissen.
Sein eigenes Getränk herabsetzend, sagte mir ein Barista im Hotel, das Bond Store Café sei das beste in der ganzen Gegend von Southbank. Versteckt hinter einer roten Backstein-Fassade, könnte es in den meisten Städten leicht eine Attraktion sein – nur in Melbourne ist es gerade mal ein weiterer erstaunlicher Hipster-Coffee-Shop.
In Perth war es genauso. Und in Brisbane. Und sogar in Toowoomba.
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Manchmal trinke ich zu viel Kaffee. Manchmal trinke ich wirklich viel zu viel. Während eines Tages mit Aufbau und Aufführung nach einer nächtlichen Fahrt trinke ich vielleicht einen zum Frühstück, einen am Vormittag, einen nach dem Mittagessen, einen vor der Show und einen während der Pause. In Australien war es etwas viel – während ich dies schreibe, hatte ich schon drei Tassen.
Bitte nicht falsch verstehen – damit könnte ich jederzeit aufhören. Tatsächlich habe ich mit Kaffeetrinken schon immerzu und oft aufgehört. Genauer gesagt, ich bin wählerisch geworden. Ich trinke nicht mehr irgendetwas, das vage einem Kaffee ähnelt und in einem Becher vor meinen Becher hingestellt wird. Nach Jahren verbrannten Kaffees in Styropor-Bechern an Tankstellen in der amerikanischen Wildnis … schätze ich jetzt eine Tasse guten Kaffee, die man hier „Cuppa“ nennt.
„Das Leben ist zu kurz für einen schlechten Kaffee.“, versichert hier ein Schild.
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Mein übliches Getränk ist zurzeit das, was die Aussies einen „Long Black“ nennen. Es ist das, was wir Amerikaner einen „Americano“ nennen. Das sind zwei oder drei Tassen Espresso mit heißem Wasser. In manchen Shops tun sie eine Menge heißes Wasser dazu, wie bei einem „grande“. Andere bereiten es zu wie einen doppelten Espresso mit nur ganz wenig heißem Wasser – das ist die liebste Erfrischung unseres Dirigenten Milen Nachev zwischen zwei Shows.
Das ist kein Grüntee mit Milch oder irgendein nach Blaubeeren schmeckender Kaffee mit Sahne und Zucker. Man hat im Grunde genommen reinen Kaffee. Und daher sind die Qualität der Bohnen, das Rösten und die Technik des Brühens wirklich ausschlaggebend. Und hinzu kommt, was der Barista an Liebe einfließen lässt.
In den Staaten kann man die Orte, wo es Kaffee gibt, in drei Kategorien einteilen: Die meisten – von der Tankstelle über Imbisse bis zu Dunkin Donuts – bieten Filterkaffee an, gemacht mit großen Filtern, in Glaskannen oder anderen Behältnissen; einige Ketten, wie Starbucks oder Au Bon Pain, bieten sowohl Filterkaffee und als auch spezielle Getränke an; und dann gibt es letztendlich noch die Hipster Kaffee-Treffpunkte. Die haben mit Sicherheit eine klassische Espresso-Maschine, ein breites Angebot an Zubereitungsmethoden wie Siphon und kaltgebrüht, und zuletzt auch noch einen Barista mit eine majestätischen Bart in einem schwarzen V-Ausschnitt-Shirt.
In Australien gibt es diese Kategorien nicht – auf unserer ganzen Tour habe ich nicht eine Filtermaschine gesehen. Mit Ausnahme einiger weniger Ketten sind alle Coffee-Shops Hipster-Coffee-Shops.
Selbst Tankstellen und 24/7 Minimarts haben solche tollen Espresso-Maschinen. So etwas habe ich nur noch in Italien gesehen, an einer beliebigen Tankstelle kann man dort für einen Euro den besten Espresso kriegen, den man je bekommen hat. Zufällig gibt es in Australien eine der größten italienischen Gemeinden außerhalb des „Stiefels“.
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Nach einem Wochenende mit Aufführungen – es war unser letzter Morgen in Brisbane, bevor wir nach Toowoomba aufbrachen, fand ich den perfekten Coffee-Shop. Dort hatten sie das richtige Rezept für einen produktiven Morgen: Guten Kaffee, unaufdringliche Musik, freies Wifi und Netzanschluss. Aber in diesem Coffee-Shop gab es noch mehr.
Bei meiner dritten und letzten Bestellung des Tages kam ich mit dem Mann an der Kasse ins Gespräch. Wie sich herausstellte, war er der Besitzer, George Kalatzis, und man könnte sagen, er ist ein aufsteigender Stern am Himmel der australischen Kaffee-Szene.
Sein Atomic Coffee Shop, der zu Coffee Streams of Australia gehört, bietet Kaffee an, der in Australien gewachsen ist. Ich wusste nicht, dass in Australien Kaffee angebaut wird. Wussten Sie das? Offensichtlich geschieht das, in den Bergen von North Queensland zum Beispiel.
Nachdem ich mich mit ihm mehr als eine Stunde lang unterhalten hatte, war der Grund für seinen Erfolg klar zu erkennen. Es ist etwas, das wir mit uns bei Shen Yun in Verbindung bringen können: Seine Arbeit verbindet eine Leidenschaft für etwas, das ihm am Herzen liegt, mit dem Erfüllen eines Bedürfnisses, von etwas, wonach die Menschen sich sehnen.
George war nicht darauf aus, mehr als 30 Prozent der australischen Kaffeebohnen-Industrie zu kontrollieren, Shops auf der ganzen Welt zu versorgen oder im Parlament erwähnt zu werden. Er liebt Kaffee und er liebt es, Menschen zu helfen. Er sah verarmte Gegenden in Australiens ländlichen Gebieten, ohne Einkommensquellen und ohne Hoffnung in Aussicht. Und er hörte von der Ausbeutung der Erzeuger in den Entwicklungsländern und von Bohnen von armseliger Qualität, die für große Firmen in Massenproduktion zehntonnenweise hergestellt werden. Und er entschied sich, seinen eigenen Weg zu gehen.
Der Kaffee von George wird in Australien angebaut. Er glaubt an Karma und dass man das erntet, was man gesät hat. Er zahlt den Bauern einen ehrlichen Preis, der kurzfristig einen Einschnitt in seine Gewinn-Marge bedeutet, aber für die Industrie langfristig gesehen Dankbarkeit und erneuerbares Wachstum schafft. Alle Bohnen wurden im vergangenen Jahr gepflückt – sie befanden sich nicht wer weiß wie lange in irgendeinem Lagerraum. Und die Bohnen sind grün – es wird nur Sonnenenergie benutzt.
Ich musste ihm von dem Freund und Shen Yun-Kollegen Mark Abbott erzählen. Mark ist auch aus Brisbane und hat Unwissenden wie mir mit viel Geduld besseren Kaffee vorgeführt. Marks derzeitiges Zuhause, nicht weit von unserer Shen Yun-Zentrale in New York, ist immer offen für einen Cappuccino-Besuch. Und schon, wenn Du ihn mal eben seit zehn Minuten kennst, bist Du bereits eingeladen.
Als ich George von Mark erzählte, ließ er mich mit drei Beuteln voller Kaffeebohnen, die ich ihm geben sollte, nach Hause abziehen. Ich stelle sicher, das George das nächste Mal, wenn wir in der Stadt sind, kommen wird, um Shen Yun anzusehen und dass er eine „Cuppa“ mitbringen wird.
Leeshai Lemish
Moderator
21. März 2016