Porträt: Die Erste Tänzerin Evangeline Zhu
Das Taste of Life Magazine (TOL) ist Frankreichs und Kanadas führendes zweisprachiges Luxus-Lifestyle-Magazin auf Chinesisch und Englisch, das sich dem Brückenschlag zwischen Ost und West verschrieben hat, durch eine gemeinsame Wertschätzung für die Schönheit und Eleganz, die in beiden Traditionen wurzelt.
In dieser Ausgabe präsentiert TOL die Erste Tänzerin von Shen Yun, Evangeline (Eden) Zhu. Zhu ist seit 2013 bei Shen Yun. In den Jahren 2014 und 2016 gewann sie den ersten Platz beim Internationalen Wettbewerb für Klassischen Chinesischen Tanz von New Tang Dynasty Television (Junioren- bzw. Seniorenklasse). Zhu tourt in dieser Saison mit der Shen Yun New York Company durch Nordamerika und Europa.
Aus Taste of Life: Eine Göttin im Innersten
Eden Zhu wuchs in China im Umfeld traditioneller Kultur auf – aber erst nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten verstand sie die tiefere Bedeutung, die in ihr verborgen ist.
Im Jahr 2014, bei einem internationalen Tanzwettbewerb in New York City, waren Hunderte von Augenpaaren gespannt auf die Gestalt von Eden Zhu gerichtet, die allein auf der Bühne im Scheinwerferlicht stand. Sie hatte die Wahl: Wie spielt man Chang'e?
Chang'e ist eine Göttin, und die Geschichte von ihr und ihrem Mann Hou Yi ist in China etwa so bekannt wie Romeo und Julia im Westen. Hou Yi, obwohl kein Gott, hatte große Fähigkeiten. Er rettete die Welt, indem er mit Pfeil und Bogen neun Sonnen abschoss, die das Land verbrannten, was ihm weit verbreiteten Respekt und Verehrung einbrachte.
In der Fabel trinkt Chang'e ein Elixier der Unsterblichkeit, fliegt zum Mond (eine Metapher für den Himmel) und lässt ihren Mann auf Erden zurück.
Die Interpretationen darüber, wieso Chang’e den magischen Trank zu sich nahm, differieren.
In China wurde Zhu gelehrt, dass Chang'e es trank, um zu verhindern, dass einer der Jünger von Hou Yi es stiehlt.
Nachdem Zhu China verlassen hatte, gaben ihr ihre neuen Lehrer eine weitere Erklärung, warum Hou Yi nicht mit seiner Frau in den Himmel aufsteigen konnte: sein Stolz.
Das, sagt Zhu, war „eine interessantere Interpretation“. Hou Yis Arroganz bedeutete, dass er keinen Platz im Himmel hatte – die Götter belohnen Charakter, nicht Leistung. Also kehrte Chang'e allein zurück.
Die beiden verschiedenen Versionen mögen im Raum von Zhus philosophischen Überlegungen geblieben sein, mit Ausnahme der Tatsache, dass sie wissen musste, wie sie tanzen sollte: wie eine Frau, die eifersüchtig den Zaubertrank ihres Mannes bewacht, oder wie ein göttliches Wesen, das kurz davor steht, in den Himmel zurückzukehren und die Schwächen zu beklagen, die die Menschen an ihre sterblichen Wege gefesselt halten.
„Zuerst habe ich ihre Denkweise nicht verstanden“, sagt Zhu in einem Interview mit Taste of Life und zeigt erneut ihre damalige Ratlosigkeit. „Nachdem ich die wahre Bedeutung der Geschichte herausgefunden hatte, konnte ich sie in der Darstellung durch meine Bewegungen sehr deutlich ausdrücken.“ In ihrem Tanz porträtierte Zhu den Schmerz der allein zurückkehrenden Chang'e.
Ein Mädchen namens Eden
Zhu ist seit ihrem 14. Lebensjahr Tänzerin bei Shen Yun Performing Arts. Es ist die einzige Tanzgruppe der Welt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die traditionelle chinesische Kultur wiederzubeleben und die göttliche Anmut in der menschlichen Welt zu verkörpern.
Obwohl sie in einem kunstbetonten Haushalt aufwuchs – im Alter von fünf Jahren wurde ihr Klavierunterricht erteilt und bald darauf begann sie mit ihrer Tanzausbildung – sagt Zhu, dass sie erst nach dem Umzug von China in die Vereinigten Staaten den tieferen Sinn der Kultur begriff, die sie seit ihrer Jugend umgab.
In New York entdeckte sie unter Gleichgesinnten im selben Alter, dass es bei den inneren Geheimnissen ihrer Kultur um moralischen Erhöhung ging, um ein Leben in Tugend – nicht um die heute verbreitete Selbstdarstellung.
Wenn Zhu trainiert und auftritt, verbindet sie sich mit der Tiefgründigkeit der alten Volksmärchen, die überliefert worden sind.
Aus dem Herzen heraus
Im klassischen chinesischen Tanz, erklärt Zhu, gibt es den Satz: „Aus dem Herzen beginnen, aus dem Kern herausbringen“. Das bedeutet, dass ein Künstler, sobald er weiß, was er ausdrücken will, vom Kern seines Körpers ausgeht und seine Gedanken in Tanzbewegungen verwandelt. Aus diesem Grund brauchte Zhu Klarheit darüber, was Chang'e antrieb.
Zhus Reise in das Herz ihrer Kultur hat sie zu der Erkenntnis gebracht, dass ihre Gedanken auf einem Fundament der Güte aufgebaut sein sollten. „Unser Lehrer für klassisches Chinesisch lehrt uns, dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn man Großes tun will: das Mandat des Himmels, rechtschaffenes Verhalten und Talent.“ Die Einsicht, dass ihr Schicksal arrangiert ist, und dass ihre Arbeit gutzumachen, bedeutet, mit Tugend zu handeln, wohin sie auch geht, lenkt jetzt ihr Leben.
Sie sagt, dass dieses spirituelle Reservoir in ihrer Heimat
vernachlässigt wurde. „'Güte, Rechtschaffenheit, Anständigkeit, Weisheit
und Vertrauen', klassische konfuzianische Tugenden, die in China weit
bekannt sind, mögen noch in den Lehrbüchern stehen, aber das moderne
chinesische Volk erkennt die Werte der traditionellen Kultur nicht
wirklich.“
Ihr neues Verständnis der Legende von Chang'e veranlasste Zhu alles, was sie über die chinesische Kultur zu wissen dachte, zu überdenken.
Das moderne chinesische Bildungssystem betrachte Chinas Traditionen, wie den Glauben an die Existenz von Göttern und den Himmel, als „feudalen Aberglauben“, erklärt sie. Und während das alte China oft als trostlos, hoffnungslos und als eine repressive und rückständige Gesellschaft dargestellt werde, die nur auf die Revolution warte, sei Zhu anderer Meinung, nachdem sie in der Literatur eine bunte und vielfältige Gesellschaft entdeckt habe.
„Im Gegensatz zu dem, was ich in der Schule gelernt habe, haben die Altvorderen so viel wunderbares Erbe an uns weitergegeben“, sagte sie und bezieht sich beispielsweise auf Künstler wie Wang Xizhi mit seinen kalligrafischen Gedichten. Man sagt, dass er und 42 seiner gelehrten Kollegen Gedichte verfassten, während sie an einem „Trinkwettbewerb gegen die Uhr“ teilnahmen. Sein „Vorwort zur Gedichtsammlung vom Orchideenpavillon“, bleibt eines der meist geschätzten Werke Chinas und wird bis heute von angehenden Kalligrafen abgeschrieben.
Es ist diese Würdigung des kulturellen Erbes, die die Tänzer von Shen Yun und das ausdrucksstarke Orchester im East-meets-West-Stil mit Anmut, Menschlichkeit und Humor zum Leben erwecken, so Zhu. Sie fühle sich geehrt, mit talentierten und engagierten Kollegen zusammen zu sein. „Wenn wir auf der Bühne an Orten auf der ganzen Welt tanzen, fühle ich eine sehr rechtschaffene, sehr reine Energie, die unvergleichlich stark ist. Ich möchte diese Energie an alle weitergeben.“