CONCERTONET.COM: Gottheiten, Drachen, Tänzer und Diven
VON MICAELE SPARACINO
Ein höchst ungewöhnliches und bemerkenswertes Ensemble tritt derzeit auf der Bühne des Kennedy Center Opera House auf. Es handelt sich um „Shen Yun Performing Arts“, das mit vier verschiedenen Ensembles derzeit durch die Vereinigten Staaten tourt und dem amerikanischen Publikum einen seltenen Einblick in die traditionelle chinesische Vokalmusik und den Tanz gewährt. Die Inszenierung, die den Geist und das Wesen der vormodernen klassischen chinesischen Kultur einfangen will, schöpft ihre Inspiration aus dem jahrtausendealten Erbe und den Traditionen sowie den universellen Idealen, die sie geprägt haben, wie Güte, Schönheit, Harmonie und Selbstverbesserung.
Die Aufführung besteht aus zweiundzwanzig Vignetten, die sich durch farbenprächtige Kostüme, bravourösen Tanz und mitreißenden Operngesang auszeichnen. Die einzelnen Nummern werden durch hochmoderne digitale Bühnenprojektionen untermalt, die das Bühnenbild ständig von Kirschblütenfeldern und Bergseen zu ätherischen Götterwelten oder zu von Tigern bewohnten Wäldern wechseln lassen. Der Gesamteffekt ist, gelinde gesagt, atemberaubend. Das außergewöhnlich gute Orchester, das sich aus westlichen Instrumenten (Streichern, Blechbläsern, Holzbläsern usw.) und traditionellen chinesischen Instrumenten (Holzblöcken, Gongs, Pipa und Erhu) zusammensetzt, wird von Maestra Ying Chen solide geleitet.
Die Tänze der Frauen zeichnen sich durch ihre Eleganz und Zartheit aus, vor allem in Balletten wie „Feen in den Wolken“, das mit weißen Federfächern auf einem wolkenverhangenen Boden getanzt wird, oder „Mongolische Gastfreundschaft“, bei dem prächtige orange- und goldfarbene Kostüme zum Einsatz kommen und gewöhnliche Essteller mit Hilfe von verzierten Ringen außergewöhnlich musikalisch gemacht werden. Die Tänze des Männerensembles zeichnen sich durch ihre Athletik und Akrobatik aus. Erstaunliche Sprünge, Sprünge, Wirbel und Drehungen entlockten dem Publikum Jubel und Applaus. Besonders mitreißend ist „Trommler des Nordwestens“. Vor der goldenen Kulisse des chinesischen Lössplateaus schlagen die Männer mit pulsierender Energie und kraftvollen Rhythmen auf Hüfttrommeln und vollführen dabei erstaunliche Sprünge. Es ist in der Tat atemberaubend!
Die drei Gesangssolisten sind von internationalem Opernkaliber. Die Sopranistin Pi-ju Huang zeigte eine dramatische Stimme mit einer wunderbar abgerundeten und üppigen Qualität. Der Bassbariton Qu Yue hat eine sehr dunkle Stimme mit einem sehr ungewöhnlichen Timbre. Sein Gesang versetzte das Publikum in Schweigen. Der Gesang des Tenors Hong Ming löste die lautesten Ovationen des gesamten Abends aus. Seine Stimme lässt sich am besten als „chinesischer Pavarotti“ beschreiben. Seine perfekt platzierten hohen Töne und sein mitreißendes hohes C waren definitiv ein Höhepunkt des Abends. Er bedankte sich beim jubelnden Publikum mit einer sofortigen Zugabe.
Mein Lieblingsmoment des Abends war jedoch die Originalkomposition, die die Virtuosin Xiaochun Qi auf der Erhu, einem chinesischen Instrument, spielte. Das Instrument ist eine Art zweisaitige alte chinesische Geige. Die Klangqualität dieses Instruments ist eindringlich, ebenso wie Frau Qis bezaubernde lyrische Komposition. Es war eine unvergessliche Darbietung, und wie man so schön sagt: „Die Melodie klingt nach“.
„Shen Yun“ produziert jedes Jahr eine neue Show und ist bereits viermal um die Welt getourt. Die derzeitige Washingtoner Kompanie wird als Nächstes in Fort Lauderdale, Florida, auftreten. Die Inspiration für diese Produktionen stammt aus der Philosophie des Falun Dafa. Dies ist eine chinesische Praxis der Selbstkultivierung, die neben vielen anderen Lehren die Brüderlichkeit der Menschheit und die friedliche Koexistenz aller Gesellschaften fördert. Sollte die Produktion in Ihrer Region auf Tournee sein, empfehle ich Ihnen von Herzen den Besuch einer Aufführung. Sie werden es inspirierend und erhebend finden, und vor allem … sehr unterhaltsam!
Maestro Micaele Sparacino ist Gründer und Generaldirektor der Opera Bel Canto in Washington, D.C.
Originalartikel: https://www.concertonet.com/scripts/review.php?ID_review=6204
19. Januar 2010