Wie Lady Xi Shi das Königreich rettete
Die Schlacht tobt, der Kampflärm dröhnt bis in den Palast. Die Minister schreien und fliehen und klagen lauter als die Verwundeten. Verlustmeldungen dringen an das Ohr des Königs.
An welchem Punkt, fragt er sich, ist es in die falsche Richtung gelaufen? Wo sind die Früchte der jahrzehntelangen Aufbauarbeit für das Reich geblieben? Und der Feind? Ein bloßer Vasallenstaat, der längst in die Knie gezwungen worden war. War dies das Ende?
Dies ist die Geschichte einer besonderen Dame, die zu einer der vier großen Schönheiten der chinesischen Geschichte erhoben wurde und deren Aussehen, Talent und Opferbereitschaft ihr einen Platz in der Ruhmeshalle der Helden Chinas einbrachten. Doch um die Geschichte dieser zeitlosen Schönheit zu erzählen, müssen wir mit einer hässlichen Fehde beginnen.
Die Schlacht der Söhne
Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr., zu Beginn der Zeit der Streitenden Reiche, stieg der Staat Wu zur militärischen Führungsmacht auf. In ihrem Machthunger wandte sich die Armee gegen ihren Nachbarn, den Staat Yue.
Der König von Yue war kurz zuvor gestorben und hatte seinen jungen Sohn Goujian als Thronfolger hinterlassen. Während der Staat Yue trauerte, startete der König von Wu einen Überraschungsangriff. Der unerfahrene und hoffnungslos unterlegene Goujian, griff dennoch an. Wie durch ein Wunder gelang ihm ein Manöver, das den König von Wu ohne Deckung zurückließ. Als der König an seinen Verwundungen starb, zog sich die Armee von Wu zurück.
Der Sohn des toten Königs hieß Fu Chai. Der Tod seines Vaters lastete schwer auf seinem Herzen. Während er die Armee seines Landes aufbaute, ließ er sich täglich von seinen Generälen und Ministern daran erinnern, dass die Truppen von Goujian seinen Vater getötet hatten. Verbittert und rachsüchtig griff Fu Chai zwei Jahre später Yue an und trieb Goujian in die Enge. Goujian zog die Kapitulation der Vernichtung vor, und man einigte sich auf harte Bedingungen. Yue wurde ein Vasallenstaat von Wu.
Der einst angesehene König Goujian war nun ein Sklave, ebenso wie seine Königin und sein oberster Minister Fan Li. Das Trio schuftete in den Ställen vor den Augen des einfachen Volkes.
Goujian und die Gallenblase
Trotz allem hat sich Goujian nie beklagt. Weder er noch seine Frau, noch sein Minister haben je ein Wort des Protestes geäußert. Die drei verhielten sich ruhig und unterwürfig und gewannen nach langen Jahren des Leidens langsam das Vertrauen des Königs Fu Chai. Der König war fest davon überzeugt, dass Goujian und der ganze Staat Yue unter seiner Kontrolle standen.
Aber Goujian war kein Schwächling, er spielte auf Zeit und gewann schließlich so viel Vertrauen, dass Fu Chai ihm seine Freiheit zurückgab. Doch im Grunde seines Herzens wartete er nur auf Rache.
Um die Erinnerung an seine Demütigung wach zu halten, stand Goujian jeden Morgen auf und leckte an einer bitteren Gallenblase, die er über sein Bett gehängt hatte. Er gab sich weiterhin unterwürfig, handelte mit den Wu und schickte ihnen Rohstoffe und schöne Frauen.
Währenddessen bereitete er die Yue heimlich auf den Krieg vor.
Die Geheimwaffe
Außerhalb der Hauptstadt der Yue lebte eine junge Frau, die später Xi Shi genannt wurde. Obwohl sie ein einfaches Dorfmädchen war, besaß sie den Charme einer Adligen, und eine Schönheit, die alle anderen in den Schatten stellte.
Fan Li, Goujian vertrauter Minister, brauchte drei Jahre, um aus Xi Shi eine perfekte Palastdame zu machen. Sie wurde eine begabte Musikerin, eine bezaubernde Tänzerin und eine starke Schachspielerin. Sie verfügte über ein umfangreiches Wissen und beherrschte sowohl die Malerei als auch die Kalligraphie. Statt der dörflichen Umgangsformen beherrschte sie nun Palastmanieren und ihr Äußeres war von umwerfender Anmut. Ihre Ausbildung war abgeschlossen.
Goujian schickte Xi Shi zu Fu Chai, dem König von Wu, damit sie ihm als Konkubine diente. Unsere Heldin brauchte sich nur zu zeigen, und der König war entzückt. Um ihr zu gefallen, gab Fu Chai den gesamten Reichtum seines Landes für den Bau von Palästen, Gärten und einem künstlichen See aus. Er vergaß die Staatsgeschäfte und verbrachte seine Tage an ihrer Seite. Xi Shi tat ihr Bestes, um ihn von den wichtigen Dingen abzulenken, und ihre Tarnung aufrechtzuerhalten.
Aber sie war nicht die einzige. Der Staat Yue hatte auch anderen Beamten ebenfalls schöne Frauen geschickt, und alle folgten dem Auftrag ihres Königs. Alle Staatsmänner der Wu waren mit diesen Damen beschäftigt und kümmerten sich kaum um die Staatsgeschäfte. Sie gaben Unsummen für Vergnügungen aus und schwächten den Staat nach und nach. Nach wenigen Jahren war Wu nur noch ein Schatten seiner einstigen Macht.
Xi Shi nahm nicht nur die Zeit des Königs in Anspruch. Sie schickte auch wichtige Informationen nach Hause, die für den späteren Angriff entscheidend waren.
Endlich war der Tag gekommen. Wu war schwach und arm, und Goujian nutzte die Gunst der Stunde und befahl den Angriff. Das mächtige Königreich Wu fiel ohne große Gegenwehr.
Glücklich bis ans Lebensende?
Was mit Xi Shi nach dem Fall von Wu geschah, darüber schweigt die Geschichte.
Bekannt ist, dass Fu Chai die Demütigung nicht ertragen konnte und sich das Leben nahm. Einige sagen, dass Xi Shis Liebe zu Fu Chai echt war und dass sie sich, nachdem sie ihre Mission erfüllt hatte, entschloss, sich ebenfalls das Leben zu nehmen. Andere spekulieren, sie sei mit ihrem wahren Geliebten, Goujians Minister Fan Li, aus Yue geflohen. Wir würden gerne glauben, dass die beiden ein glückliches und friedliches Leben miteinander führten, was darauf hindeutet, dass Fan Li seine Klugheit nutzte, um ein wohlhabender Kaufmann zu werden und eine glückliche Familie zu gründen.
Wie auch immer ihr Leben endete, wir bewundern sie nicht minder für ihre Schönheit, ihre Intelligenz und ihren Beitrag zu Chinas bewegter Geschichte.
Ihre Geschichte wird 2024 in Die Geschichte von Lady Xi Shi von Shen Yun auf der Bühne zum Leben erweckt.